11. Album des einzigartigen Kollektivs: Psychedelia und Free Form Jazz (not Jazz) bilden die Grundlage für ausgedehnte Exkursionen mit eigentümlichen Texturen und drastischen Wendungen. Disloziert dichte Musik voller geheimer Zusammenhänge!
Bevor die Vernunft siegt, auf die sich jene berufen, die wollen, dass alles so bleibt wie es ist, unterbricht das Kammerflimmer Kollektief die etablierten Lieferketten der Töne. Es sucht interessantere Wege, sie zusammenzusetzen. Im Vertrauen darauf und besonders im Satthaben dessen, dass sowieso jeder Ton, der noch aus Gitarre und Bass und Harmonium und Schlagwerk und Elektronikapparaturen heraus geschliffen kommt, schon in die Bedeutungsmangel genommen worden ist. Schluss damit. Hier wird nichts mehr erklärt. Hier wird in Schemen gesprochen. Verschliffen und ruckartig.
Die Bilder, die das Kammerflimmer Kollektief heraufbeschwört, passieren daher nicht im Fokus des Bewusstseins, sondern in dessen äußeren Bereichen. In jenen, denen man gerade nicht seine volle Aufmerksamkeit schenkt, die aber trotzdem wahrgenommen werden. Wenn beispielsweise im Augenwinkel ein Blatt vom Boden zurück an den Baum fällt und ein Moment entsteht, in dem du das für möglich hälst, bevor du erkennst, es war ein kleiner Vogel, der in den Baum fliegt: In solchen irritierenden Momenten zwischen Wahrnehmung und Erkenntnis findet auch die Kunst des Kollektiefs statt. Wenn nämlich auf »Schemen« vertraute Fragmente sanft um ihren Kern schweben – ein Fender-Rhodes-Ton, eine Bassfigur, ein Gitarrenmotiv, ein meisterlicher Drum-Shuffle, ein dem Harmoniumspiel Christa ›Nico‹ Päffgens entlehnter Moment der eisigen Stase – und dabei kurze Assoziationen triggern, bis sie durch Free-Jazz-informierte Editierarbeit langsam in andere Richtungen abrauschen, dann können ebenfalls solche Zonen entstehen, in denen die Wahrnehmung ein paar Tricks bereit hält und sich früheres Erleben plötzlich ganz anders ins Jetzt bricht. Halb vermutet, halb gesehen.
Halb-Musik wie sie auch die Kölner Can – ebenfalls Meister des Impro-Editierens – vor ein paar Jahrzehnten bisweilen in ihren Zwischenmomenten produziert haben. Dort wo gerade nicht der Liebezeitliche Groove den augenblicklich nachvollziehbaren Takt gibt. Die ersten Minuten von »Future Days« etwa, die sich sachte einblenden und von allen Richtungen des Raums aus eine kaum konkret zu greifende Gestalt skizzieren. Auf ähnlich offene Entwicklungsmomente lässt sich auch das Kammerflimmer Kollektief ein. Locker entzieht es sich den ersten prägenden Eindrücken und hält sich für Zeitpunkte bereit, die keiner Verabredungslogik folgen. Diese Lockerheit im Umgang macht das Kammerflimmer Kollektief so fluide hörbar, selbst wenn sich dissonante Spitzen und freies Spiel zeigen. Was für Cans Kompositionsverständnis Karlheinz Stockhausen ist, sind für das Kammerflimmer Kollektief dabei vielleicht die Aufnahmen von The Cocoon. Letzteres eine Zusammenkunft von Garagenpsychedelikern aus dem Raum Hannover mit freien Jazzern der Galaxie Dream Band, dessen 1985 in unbeobachteten Augenblicken aufgenommenes Album »While The Recording Engineer Sleeps« in ganz ähnlicher Weise mit dezentralen Wahrnehmungsambivalenzen operiert und erst vier Jahre später mehr oder weniger heimlich auf Wilhelm Reich Schallspeicher erschienen ist. Andere Spuren von »Schemen« führen zum Debutalbum der Quicksilver Messenger Service. Die ungezwungen auf sich Bezug nehmenden Gitarren von Gary Duncan und John Cipollina sind Anleitungen zum Loslassen. Sie wollen nicht in jeder Note als Solo nachgespürt werden, sondern sie geben ihrer Musik ein Gefühl, dass sich das Wesentliche außerhalb des Zentrums abspielt, im gegenseitigen und intuitiven Beschenken von liebevollen Hinwendungen. Bewusstseinsfrei.
Liebevolle Hinwendungen wie diese eine kleine Gitarrenphrase, die wie eine Art Leitmotiv immer mal wieder mehr oder weniger unverändert durch die Alben des Kammerflimmer Kollektiefs geistert. Eine Coricidin induzierte, sehr einprägsame, aus uraltem Æther herausgefilterte Slide-Idee, die – wer weiß – vielleicht sogar schon vor Jahrhunderten ihren Weg von irgendwo nach Amerika fand – das alte, das unheimliche – und von da aus durch die Zeiten weiterwaberte in das südliche Deutschland, in ein verräuchertes Studio in der oberrheinischen Tiefebene. Als eine Erinnerung, von der selbst die Erinnerung nicht mehr weiß, an was sie einmal erinnerte. Ungesagt, dann vergessen.
Im Kammerflimmer Kollektief findest du zudem einen Freund sich langsam aufbauender, ungehetzter Musik, die wohl auch der alte Franz Mesmer geschätzt hätte, der vor gut 200 Jahren nach tranquillierenden Behandlungen seinen Patienten manchmal noch ambiente Weisen auf der monströsen Glasharmonika vorzuspielen pflegte. Um sich jedoch nicht vollständig dem Fluss der eigenen Lebensenergie hinzugeben, wie es Mesmers Therapien vorschwebte, legt das Kammerflimmer Kollektief beizeiten noch hektische Spannungen unter, sanft umarmt vom Dröhnen eines Sinusgenerators, als könnte man in Trance noch mal kurz eine Erfrischung nehmen. Dieser alte, analoge Sinusgenerator ist neu im kammerflimmerischen Sortiment der Töne. Die Kunst des Kollektiefs dockt also gerne mal an moderne Zeiten an, während sie Vergangenheit im Schilde führt. Zustände beginnen zu flackern zwischen Einbildung und Gewissheit, zwischen kulturgebundener Kunstäußerung und Zufällen: Ein Krächzen und Schaben kann bei ihnen auch immer einfach nur ein Krächzen und Schaben sein, wie bei Andy Warhol ein Pilzesser einfach nur einen Pilz isst.
Heike Aumüllers Cover-Arbeiten, die alle Alben des Kammerflimmer Kollektiefs illustrieren, wirken zusätzlich als Verstärker nicht erklärter Brechungen. Ihr Stil besteht aus Augenwinkel-Kunst, die es auch dann noch bleibt, wenn sie direkt angeschaut wird. Ihre Aufnahmen bleiben unbehaglich, weil sie sich auch im Nachhinein nicht zurecht ruckeln in eine beruhigende Ordnung. Statt sich aber der aufkommenden Angst beim Betrachten durch den Versuch zu entziehen, sich irgendeinen irrationalen Reim darauf zu machen, gilt es sie auszuhalten. Das gilt auch für die Musik. Der Trick besteht darin, Teile Teile sein zu lassen, ohne sie zwanghaft zu in falsche Sicherheit wiegende wahnhafte Muster zu verknüpfen und sich dadurch womöglich selbst etwas vorzumachen. Freiheit bedeutet in diesem Zusammenhang, nicht ängstlich in allem einen herbeifantasierten übergeordneten Sinn sehen zu müssen. »Schemen« wirkt antiverschwörerisch.
11th album by the one-of-a-kind collective: psychedelia and free form jazz (not jazz) trigger a sophisticated excursion into weird textures with dramatic turns. Dislocated dense music full of secret connections! »A kind of distorted grandeur, like Karlsruhe after a thunderstorm.« Brian Morton,The Wire
Before reason triumphs, invoked by those who want everything to remain as it is, Kammerflimmer Kollektief disrupts the established supply chains of sound. It seeks more interesting ways to assemble them. Trusting in this, and especially in the satiety of the fact that every sound that still comes out of guitar and bass and harmonium and percussion and electronic apparatus has already been taken into the mangle of meaning anyway. Enough of that. Here nothing is explained any more. Here we speak in schemes. Polished and jerky.
The images that Kammerflimmer Kollektief conjures up therefore happen not in the focus of consciousness, but in its outer realms. In those to which one does not give one's full attention at the moment, but which are nevertheless perceived. For example, when a leaf falls from the ground back to the tree in the corner of your eye, and a moment arises in which you think this is possible, before you realize it was a small bird flying into the tree: It is in such irritating moments between perception and realization that the art of the Kollektief also takes place. For when on "Schemen" familiar fragments float gently around their core – a Fender Rhodes tone, a bass figure, a guitar motif, a masterful drum shuffle, a moment of icy stasis borrowed from the harmonium playing of Christa 'Nico' Päffgen – triggering brief associations, until they slowly rush off in other directions through free jazz-informed editing work, then such zones can also arise in which perception has ready a few tricks and earlier experience suddenly breaks into the now in a completely different way. Half suspected, half seen.
Half-music like Can from Cologne – also masters of improvising – sometimes produced a few decades ago in their in-between moments. The first minutes of "Future Days" for example, which fade in gently and sketch a hardly concretely graspable figure from all directions of the room. Kammerflimmer Kollektief also engages in similarly open moments of development. Loosely, it eludes the first formative impressions and keeps itself ready for moments that do not follow any logic of appointment. This looseness in handling makes Kammerflimmer Kollektief so fluidly audible, even when dissonant peaks and free playing appear. What Karlheinz Stockhausen is for Can's understanding of composition, the recordings of The Cocoon are perhaps for Kammerflimmer Kollektief. The latter a meeting of garage psychedelics from the Hannover area with free jazzers from the Galaxie Dream Band, whose album "While The Recording Engineer Sleeps", recorded in 1985 in unguarded moments, operates in a very similar way with decentralized perceptual ambivalences and only appeared more or less secretly four years later on Wilhelm Reich Schallspeicher. Other traces of "Schemen" lead to the debut album of Quicksilver Messenger Service. The guitars of Gary Duncan and John Cipollina, which refer to themselves in an unforced manner, are instructions to let go. They don't want to be traced in every note as a solo, but they give their music a sense that the essential takes place off center, in the mutual and intuitive gift of loving attentions. Consciousness-free.
Loving turns like this one little guitar phrase that, like a kind of leitmotif, is repeatedly ghosting more or less unchanged through all of the Kammerflimmer Kollektief-albums. A Coricidin induced, very catchy slide idea filtered out of ancient Æther, which – who knows – maybe even centuries ago found its way from somewhere to America – the old, the eerie – and from there wafted on through the ages to southern Germany, to a smoky studio in the Upper Rhine lowlands. As a memory of which even the memory no longer knows what it once reminded. Unsaid, then forgotten.
In Kammerflimmer Kollektief you will also find a friend of slowly building, unhurried music, which probably would have been appreciated by the old Franz Mesmer, who 200 years ago after tranquilizing treatments sometimes used to play his patients ambient melodies on the monstrous glass harmonica. However, in order not to surrender completely to the flow of one's own life energy, as Mesmer's therapies had in mind, Kammerflimmer Kollektief occasionally adds hectic tensions, gently embraced by the droning of a sine wave generator, as if one could take a short refreshment in a trance. This old analog sinus generator is new in the Kammerflimmer-assortment of sounds. So the art of the Kollektief likes to dock sometimes to modern times, while it has the past in mind. States begin to flicker between imagination and certainty, between culture-bound art expression and coincidences: A cawing and scraping can always just be a cawing and scraping with them, just as in Andy Warhol's work a mushroom eater just eats a mushroom.
Heike Aumüller's cover works, which illustrate all the Kammerflimmer Kollektief-albums , additionally act as amplifiers of unexplained refractions. Her style consists of eye-corner art that remains so even when looked at directly. Her shots remain uneasy because they do not jolt themselves into a reassuring order, even in retrospect. But instead of evading the fear that arises when looking at them by trying to make some irrational rhyme or reason out of it, it is necessary to endure it. This also applies to the music. The trick is to let parts be parts without compulsively linking them to delusional patterns that lull us into a false sense of security and thereby possibly delude ourselves. In this context, freedom means not having to anxiously see a fantasized superior meaning in everything. "Schemes" has an anti-swearing effect.